Veranstaltung: | 36. Campusgrün Bundesmitgliederversammlung |
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Tagesordnungspunkt: | 3.3. inhaltliche Anträge |
Antragsteller*in: | BuVo (dort beschlossen am: 13.10.2017) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 23.10.2017, 23:03 |
A3: Gender Studies unter Druck - nicht nur von Rechts
Antragstext
Nicht erst seit dem Aufstieg der AfD kommen Gender Studies in Deutschland unter
massiven Druck. Sie werden unter dem Vorwand der Unwissenschaftlichkeit von
verschiedenen Akteur*innen des rechtskonservativen Spektrums, aber auch von der
vermeintlichen"Mitte" der Gesellschaft hinein heftig kritisiert und es werden
Forderungen nach deren Abschaffung in Wahlprogrammen und Anträgen in den
Parlamenten gestellt. Belege: CDU/CSU - Proteste gegen den Bildungsplan der
grün-roten Landesregierung Baden-Württembergs im Jahr 2015, FDP, AfD. Gemeinsam
mit religiösen Gruppierungen betreiben Aktivismus gegen eine angebliche
"Verschwulung" und "Frühsexualisierung" von Kindern, gegen
Schwangerschaftsabbrüche, gegen geschlechtssensible Sprache; sie sehen in Gender
eine Ideologie und Meinungsdiktatur, deren Konsequenz "stalinistische
Umerziehungslager" sei. Auch der Vatikan unterstützt den "Kampf gegen die
Gender-Ideologie", auch und vor allem in seinen Zielen, das Recht auf
Schwangerschaftsabbruch und damit körperliche Selbstbestimmung zu unterminieren.
Viele Dynamiken und Argumentationslinien können in diesem Spektrum ausgemacht
werden¹:
1) Positivistisches Verständnis von Wissenschaft: Gegner*innen wenden sich gegen
sozialkonstruktivistische Erklärungsansätze und behaupten etwa in ihrer
Geschlechtervorstellung den Primat der Biologie (oder Gottes) über die Kultur
und die Gesellschaft. Nicht zuletzt speist sich dieser Argumentationsstrang aus
einem in den vergangenen Jahren zunehmenden Antiintellektualismus, der
Ähnlichkeiten zur Klimawandelleugnung aufweist.
2) Festhalten an traditionellen Institutionen: Ehe und Familie werden als
bedroht wahrgenommen und Versuche, diese starren Strukturen aufzubrechen, als
Perversion ("Verschwulung", "Frühsexualisierung") gewertet. Bezeichnend ist
hierbei die Gleichsetzung von nicht-heterosexuellen Sexualitäten mit Pädophilie.
Der Traditionalismus speist sich sowohl aus religiösen als auch aus Motiven der
Volkserhaltung.
3) Orientierung an konkreten politischen Richtlinien: Viele Gegner*innen beißen
sich am Feindbild des "Gender Mainstreaming" fest. Sie sehen darin die
Manifestation eines "Staatsfeminismus", der "von oben" die Geschlechter auflösen
will - dabei ist dekonstruktivistischer Feminismus noch nicht einmal in
staatlichen Institutionen angekommen, geschweige denn in allen und
flächendeckend. So arbeitet Gender Mainstreaming, wie es die EU-Richtlinie
vorgibt, durchaus mit einer binären Vorstellung von Geschlechtern. Doch die
Argumentation von Gegner*innen suggeriert eine ständige Gängelung durch EU-
Bürokratie, was sich wiederum in einen Dualismus von "wir da unten" gegen "die
da oben" übersetzen lässt. Hierzu passt, dass die Diffamierungen von Gender
Studies stets von einer Gebärde des "Tabubruchs" und des "Wahrheitsagens gegen
die Meinungsdiktatur" begleitet sind. Auf diese Weise verbindet sich
Antietatismus mit Querfront-Ideologie.
Auf diese Weise wird ersichtlich, dass diese Argumentationslinien nur einen
Schritt von der Behauptung entfernt sind, die Nation werde - durch Wissenschaft,
durch Politik - aufgelöst (Stichwort "Deutschland schafft sich ab"). Der
antifeministische Backlash steht also in Verbindung zu religiös-konservativen
Bewegungen und der Neuen Rechten: Frauen* wird das Selbstbestimmungsrecht über
ihre Körper abgesprochen, stereotype Verhaltensweisen werden auf biologische
"Tatsachen" zurückgeführt. Vieles spricht dafür, dass Antifeminismus das
gemeinsame Band sämtlicher rechtspopulistischer und konservativer Denkrichtungen
darstellt. Unlängst wurde darauf hingewiesen, dass viele Rechtsextreme sich über
Antifeminismus radikalisieren.² Doch sollte nicht vergessen werden, dass
antifeministische Argumente und Denkweisen bis weit in eine vermeintlich
fortschrittliche und "neutrale Mitte" der Gesellschaft hineinragen. Es gibt
viele Brücken der oben ausgeführten Gegner*innen hin zum etablierten
Bildungsbürgertum, etwa im Feuilleton von großen Tageszeitungen.
Rechtspopulist*innen aktivieren die antifeministischen Aspekte von
traditionellen bürgerlichen Werten wie Familie und Ehe und werten sie um in die
angebliche Zerstörung nicht nur dieser gesellschaftlichen Institutionen, sondern
gleich des ganzen Volkes.
Campusgrün stellt sich allen entgegen, die den gesellschaftlichen Backlash
vorantreiben wollen und steht für eine kritische Wissenschaft ein, die stets das
Hinterfragen gesellschaftlicher Machtrelationen zum Ziel hat und diese nicht als
statisch gegeben, sondern gesellschaftlich-historisch bedingt sieht. Gerade
Gender Studies haben den Anspruch, gesellschaftliche Unterdrückungsmechanismen
aufzudecken und bieten so Potenzial für politische Schlussfolgerungen. Somit
erkennt Campusgrün die interdisziplinäre Geschlechterforschung als
notwendigerweise voranzutreibende Wissenschaft, die gerade in Anbetracht des
aktuellen Backlashs wichtig ist, um zu analysieren, welche
Geschlechterrollenverständnisse in der gegenwärtigen Gesellschaft verhandelt
werden. Campusgrün ist davon überzeugt, dass das aktuelle Ansteigen von
Nationalismus, Chauvinismus, Islamophobie, Antisemitismus, Rassismus,
Antifeminismus sowie Homo- und Transphobie strukturelle Zusammenhänge aufweist,
die es wissenschaftlich zu beleuchten und politisch zu bekämpfen gilt.
Postessentialistische Geschlechtskonzepte - also solche, die nicht "das Wesen
der Frau" oder "des Mannes" zugrunde legen, sind notwendig, um Menschen aus der
Zwangsjacke sozialer Zuschreibungen loszulösen. Hierfür sind die Gender Studies
federführend. Campusgrün fordert dementsprechend eine
Nachwuchswissenschaftler*innenprogramm für die Gender Studies und Plattformen,
die die Vernetzung mit anderen kritischen Wissenschaftszweigen wie der
Disability Studies, der Black Studies und Queer Studies tragen können.
Schließĺich sieht Campusgrün es als seine Aufgabe, die diskursive Logik der oben
beschriebenen rechtskonservativen und -populistischen Argumentationen
aufzudecken und dagegen anzugehen.
Quellen:
Lanwer, Michelle/Schutzbach, Franziska: "Ich kann euch alle haben."
Maskulinitätsideologien und Rechtsnationalismus. Online unter:
http://geschichtedergegenwart.ch/ich-kann-euch-alle-haben/ (08.10.2017)
Zu den Akteur*innen in der Anti-Gender-Szene ist folgende Studie
aufschlussreich: Villa, Paula-Irene/Hark, Sabine (2015): Anti-Genderismus.
Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer
Auseinandersetzungen. Bielefeld: transcript Verlag.
Vortrag von Paula-Irene Villa vom 27.01.2016 an der TU Darmstadt "Anti-
Genderismus")
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