Veranstaltung: | 36. Campusgrün Bundesmitgliederversammlung |
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Tagesordnungspunkt: | 3.3. inhaltliche Anträge |
Antragsteller*in: | Campusgrün Hamburg (dort beschlossen am: 13.10.2017) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 23.10.2017, 22:54 |
A4: Grundsatzposition: Verhältnis Ökologie und Wirtschaftssystem
Antragstext
Rockström et al. (2009) zeigen mit ihrem planetarischen Grenzlinienmodell, dass
ein "Weiter-So" nicht möglich ist. Im Laufe ihrer Forschungsarbeiten haben sie
neun planetarische Grenzen herausgearbeitet, deren jeweilige Überschreitung den
Erhalt des Umweltsystems der Erde als Ort, an dem die Menschheit existieren
kann, gefährdet. In diesem Zusammenhang zeigen Rockström et al. (2009) auf, dass
u.a. die Grenzlinien der Klimaerwärmung und der Rückgang der Biodiversität auf
dem Planeten bereits überschritten sind. Hier zeigt sich das Ausmaß der
ökologischen Krise. Ein ökologischer Kollaps für die Natur und somit - egal ob
auch oder nur - für den Menschen kann nur durch eine drastische Veränderung der
Gesellschaft in ihrer Produktionsweise und Kultur verhindert werden. Die
ökologische Krise steht nicht für sich, sondern ist Ausdruck dessen, dass
Gewinne im Kapitalismus nur durch Ausbeutung generiert werden - der Ausbeutung
des Menschen und der Ausbeutung eben auch der Natur (und damit mittelbar auch
zukünftiger Menschen, die auf einen ökologisch intakten Planeten angewiesen
sind). Kapitalismus als ein System, welches auf Konkurrenz, der Prämisse der
Rentabilität und dem Wettlauf um schnelle Vermehrung des Kapitals basiert, steht
dem Gedanken natürlicher Kreisläufe oder Gleichgewichte diametral entgegen.
Partielle Reformen, wie sie zum Beispiel die Modelle der "Green Economy" bzw.
"Green New Deal" zum Ziel haben ohne dabei den immanenten Widerspruch von
Kapitalismus und Nachhaltiger Entwicklung zu erkennen, sind zum Scheitern
verurteilt. Weit verbreitet ist die Idee vom Versuch der Entkopplung von
Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch. Diese ist zumindest unter dem
Leitgedanken globaler Gerechtigkeit nicht umsetzbar (Brand, 2015). Hoffnungen
auf eine zukünftige Bekämpfung der ökologischen Krise mit Hilfe von
Modernisierung müssen unter Bezugnahme auf das Jevons Paradoxon weitgehend
enttäuscht werden. Es hat sich gezeigt, dass das Einsparpotential bei
Effizienzsteigerungen (zum Beispiel im Fall von Energiesparleuchten) in den
meisten Fällen nicht genutzt wird. Im Gegenteil: In der Regel führen solche
Einsparungen durch erhöhte Wirtschaftlichkeit zu einem ansteigenden Verbrauch
(zum Beispiel durch eine Ausweitung der Beleuchtungszeiten). Entscheidend ist,
dass umfassend gedacht wird. Während Effizienzstrategien (d.h. weniger Verbrauch
bei gleichen Prozessen) und Konsistenzstrategien (d.h. Weiterverwendung von
Produkten als biologischer oder technologischer Rohstoff) vor allem auf
technische Neuerungen setzen, zielen Suffizienzstrategien auf eine von innen und
außen gesteuerte Veränderung der Verhaltensmuster (Stengel, 2011). Es braucht
also den Dreiklang. Nichtsdestotrotz wird das nicht reichen und es bra eine
Abkehr vom Dogma stetig wachsender Gewinne, die ständiges quantitatives Wachstum
erforderen, sowie von der Ausbeutung von Mensch und Natur, ist notwendig. Dass
der "Green New Deal" zu kurz gedacht ist, wird auch deutlich an dem Versuch,
durch Ökosystemdienstleistungen den Wert der Natur für den Menschen zu bestimmen
und für Wirtschaftsmodelle quantifizierbar zu machen. Aus der begrüßenswerten
Intention Natur- und Umweltschutz im Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu
berücksichtigen, entsteht der Irrglaube, Ökosysteme seien in ihrer Komplexität
durchschau-, mess- und abbildbar. Beispielsweise sind aus unserer Sicht Bienen
nicht durch Bestäubungs-Drohnen ersetzbar, u.a. weil die Folgen nie vollständig
abschätzbar sind. Langfristig sollte ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem
angestrebt werden in dem derdas Wohl von Mensch und Umwelt anstatt
Kapitalakkumulation bestimmendes Moment sind. Dabei muss auch die kulturelle
Entfremdung des Menschen von der Natur aufgehoben werden: Nur wenn der Mensch
die Natur nicht mehr lediglich als Rohstoffquelle oder Kostenfaktor in der
Produktion sieht, sonderen das dauerhafte metabolische Austauschverhältnis zu
ihr erkennt, kann es eine Gesellschaft geben, die sich erfolgreich einer
nachhaltigen Entwicklung verschreibt. Interessante Ideen gibt es aus unserer
Sicht in einzelnen Strömungen innerhalb der Postwachstumsbewegung (womit jedoch
nicht die konservative Strömung, vgl. Schmelzer, 2015, gemeint ist). Dazu gibt
es bisher kaum Forschung, geschweige denn Lehre. Das muss sich ändern. Es sollte
z.B. auch im Bereich der wissenschaftlichen Politikberatung möglich sein,
grundlegende Alternativen zum Status Quo mitzubedenken. Victor (2008) modelliert
als bisher einer der Einzigen ein Degrowth-Szenario für Kanada, in dem
aufgezeigt wird, dass mit mehreren Maßnahmen, wie u.a. einer radikalen
Arbeitszeitverkürzung und der Einführung einer CO2-Steuer, geringeres
Wirtschaftswachstum nicht zwingend mit hoher Arbeitslosigkeit eingehergehen
muss. Teil der progressiven Postwachstumsbewegung ist ebenso die Idee des
demokratischen Ökosozialismus. Demokratischer Ökosozialismus bricht mit der
produktivistischen Ideologie des Fortschritts und distanziert sich damit von der
Expansionslogik, die die Umwelt zerstört (siehe beispielsweise Löwy, 2016). Ziel
des demokratischen Ökosozialismus ist es, Grundlagen des (marxistischen)
Sozialismus mit ökologischer Kritik zu verbinden. Ein wesentliches Element ist
es beispielsweise, den Tauschwert dem Gebrauchswert unterzuordnen, Produktion
also an sozialen und ökologischen Bedürfnissen zu orientieren und sich so von
Expansionslogik und dem gesellschaftlichen Imperativ zu repräsentativem Konsum
zu verabschieden. Um eine solche Ausrichtung zu realisieren bedarf es der
Produktionsmittel als kollektives Eigentum sowie einer demokratischen Planung,
die die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Gesamtinteresses garantiert. Die
Kritik am aktuellen Wirtschafts- und Gesellschaftsystem entbindet aus unserer
Sicht nicht vom Handeln, sondern verlangt, dass wir gemeinsam für politische
Veränderungen ( z.B. Beschluss der 33. BMV zu Klimaschutz im 21. Jahrhundert
http://www.campusgruen.de/themen/beschluesse/9061632.html) wirken! Diese
Auseinandersetzung ist nicht nur als ökologische, sondern auch soziale und
feministische zu verstehen. Diese Zusammenhänge beschreiben wir auch als
nachhaltiger Entwicklung.
Auf Basis der vorangegangen Ausführungen setzt sich der Campusgrün Bundesverband
ein für:
- einen Wandel des Verständnisses vom „Green New Deal“ (Beschluss der 19. BMV am
19.09.09) hin zu einer alternativen kapitalismuskritischen Sicht auf die
„ökologische Krise" als Campusgrün Bundesverband
- die Verankerung von kritischen Ansätzen innerhalb gesellschafts-, insbesondere
auch wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge sowie in fachübergreifenden
Bereichen (z.B. Studium Generale, Wahlbereiche etc)
- Förderung von Forschung zu Postwachstum und demokratischem Ökosozialismus als
Teil dessen
- Thematisierung der obigen Ausführungen vom Verhältnis von Wirtschaftsystem und
Ökologie in Umwelt- & Nachhaltigkeitsbewegungen
Wir wollen nicht nur Symptome bearbeiten, sondern wirklich etwas verändern.
Change the System. Not the Climate.
Literatur
Rockström et al. (2009). Planetary Boundaries: Exploring the Safe Operating
Space for Humanity. https://www.agro.uba.ar/gran-
chaco/sites/default/files/pdf/sem6/Rockstorm%20et%20al%202009.pdfhttp://www.camp-
usgruen.de/themen/beschluesse/2814554.html
Schmelzer (2015). Spielarten der Wachstumskritik. In: Barbara Bauer et al
(2015).
Atlas der Globalisierung. Weniger is mehr. Berlin: Le Monde diplomatique/ taz
Verlags- und Vertriebs GmbH. Brand, U. (2015).
Löwy (2016): Ökosozialismus. Die radiakale Alternative zur ökologischen und
kapitalistischen Katastrophe. Hamburg:
LAIKA Stengel, O. (2011). Suffizienz. Die Konsumgesellschaft in der ökologischen
Krise. Wuppertaler Schriften zur Forschung für eine nachhaltige Entwicklung.
Band 1. München: oekom.
Clark, Foster und York (2011). Der ökologische Bruch. Hamburg: LAIKA
Begründung
Erfolgt mündlich
Unterstützer*innen
- (Bundesvorstand)
Änderungsanträge
- Ä4.1 (Grüne Hochschulgruppe Frankfurt (dort beschlossen am: 09.11.2017), Eingereicht)
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